ZUR UMWELTGESCHICHTE WIENS
Mi, 17. April 2002
Beitrag von Dr. Luzian Paula
Die Umweltgeschichte einer Stadt ist auch durch nicht unmittelbar als geschichtsbeeinflussende Faktoren zu erkennende Randbedingungen und Zufälligkeiten geprägt. Insonderheit politisch und fiskalisch motivierte und oftmals auch gutgemeinte gesetzliche Regelungen bewirken gravierende Veränderungen in der Raum- und Umweltentwicklung. 1. Finanzausgleich Die gegenwärtige und seit vielen Jahren schon praktizierte Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erfolgt u.a. nach zwei wesentlichen Kriterien, die die Stadt- und Regionsentwicklung prägen: einerseits entscheidet die Zahl der Betriebe und ihrer Beschäftigten am jeweiligen Standort darüber, welche Gemeinde die Lohnsummensteuer, heute Kommunalsteuer genannt, erhält. Weiters wird das Steueraufkommen nach dem sog. abgestuften Bevölkerungsschlüssel ausschließlich auf den Ort des Hauptwohnsitzes verteilt. Die "Abstufung" bedeutet, daß größere Gemeinden mehr und kleinere Gemeinden weniger Steuermittel pro Kopf erhalten. Das erzwingt praktisch, daß jede Gemeinde Betriebe innerhalb ihrer Gemeindegrenzen ansiedeln muß, um nicht auf Steuerleistung zu verzichten. Weiters erfolgt die Zuteilung der Steuermittel nicht nach der Zahl der tatsächlich vorhandenen Personen in einer Gemeinde (Hauptwohnsitzer und Nebenwohnsitzer), sondern nur nach dem Kriterium des Hauptwohnsitzes. Die kommunalen Leistungen, die eine Gemeinde zu erbringen hat, werden jedoch nicht nach der Zahl eines Teils der Bevölkerung beurteilt. Jede Gemeinde muß daher danach trachten, möglichst viele Hauptwohnsitzer zu besitzen. Der Finanzausgleich in seiner langjährig geltenden Regelung verhindert dadurch eine regionalpolitisch sinnvolle räumliche Verteilung von Betrieben und Bevölkerung, aber auch Freihaltezonen. Funktionale Überlegungen bleiben auf der Strecke. 2. Wohnbauförderung Mit dem Wirksamwerden der Wohnbauförderung 1968 wurde ein regelrechter Bauboom ausgelöst. Als Anreiz zur Schaffung von Wohnraum gedacht, ermöglichte diese neue Förderung die Errichtung eines eigenen (meist Einfamilien-)hauses für eine Vielzahl von Personen, deren ökonomische Leistungsfähigkeit dies bislang nicht ermöglichte. Das Kriterium des - möglichst niedrigen - Bodenpreises erhielt überproportional hohes Gewicht. Die Nachfrage und das Angebot an billigen Bauplätzen wuchs und wächst konzentrisch von den großen Ballungsräumen weg in das Umland. Verbunden mit der immer mehr verstärkten Pendlerförderung bei gleichzeitigem Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen entstanden somit Konkurrenzstandorte für das Grundbedürfnis Wohnen an immer weiter vom Arbeitsplatz bzw. den Zentralen Einrichtungen entfernten Standorten. Die Folge daraus sind u.a. auch jene Verkehrsprobleme in den Ballungsräumen, die uns heute so große Probleme bereiten. 3. Effizienz von Planungsinstrumenten Die in Österreich vorherrschende Kompetenzverteilung beschränkt die Effizienz von an sich gleichen Planungsinstrumenten innerhalb verschiedener Gebietskörperschaften. Durch die seit 1954 festgestellte Eigenkompetenz der Gemeinden (groß und klein) in der örtlichen Raumplanung und die seit 1962 eingeführte Stellung des Bürgermeisters als Baubehörde erster Instanz ergeben sich notgedrungen je nach Gemeindegröße divergierende Maßstäbe in der Umsetzung der Planungsinstrumente. Durch das räumlich unmittelbare Aufeinandertreffen von großen und kleinen Gemeinden (z.B. Wien mit 1,6 Mio. EW grenzt direkt an eine NÖ Kleingemeinde mit 2.000 EW) ergeben sich unterschiedliche Anwendungsmuster in der planenden Verwaltung und Behörde. Die Effizienz der eingesetzten Planungsinstrumente spiegelt sich in diesem Kräfteverhältnis oftmals wider. Die propagierte und oftmals versuchte Kooperation über Verwaltungsgrenzen hinweg scheitert in vielen Fällen an diesen oft unüberwindlichen Randbedingungen. 4. Zufälligkeiten des Grundeigentums Ein wichtiger Parameter in der Realisierung von Planungen ist die Verfügbarkeit über Grund und Boden. Planungsmaßnahmen sind dort effizient und rasch realisierbar, wo die Verfügbarkeit der Grundstücke für oder durch den Planenden gegeben ist oder sichergestellt werden kann. Das Beispiel Linz-Puchenau oder die Wiener Gemeindebauten und Stadterweiterungsgebiete zeigen dies sehr deutlich. Planungsmaßnahmen in Gebieten mit kleinteiligem, vielfach verstreutem Grundbesitz setzen vor der Realisierung jeweils das - meist mühsam - herzustellende Einverständnis mit den Eigentümern voraus. Zufälligkeiten wie offene Erbschaftsfragen, private Vorlieben oder ökonomische Zwänge verhindern oftmals die Realisierung sinnvoller Planung. In solchen Gebieten entstehen zufällig erscheinende Stadtstrukturen teilweise großer Langlebigkeit, deren heterogenes Bild durch zwischenzeitliche Änderungen in den Zielvorstellungen verstärkt wird. Als interessantes Beispiel kann dies am Arenbergpark in Wien-Landstraße gezeigt werden. Der Regulierungsplan aus dem Ende des 19. Jhdts. zeigt eine rasterförmig geplante Erschließung des gesamten Areals für Blockbebauung. Die Regulierungspläne aus dieser Zeit erlangten Rechtskraft und hinterließen den Ziehrer- und Sebastian-Platz. Das im Alleinbesitz einer Familie stehende zentrale Planungsgebiet verweigerte sich aber einer städtebaulichen Umnutzung und schuf damit die Voraussetzungen für den heute als Oase gerühmten Arenbergpark, der in den modernen Planungsinstrumenten bereits entsprechend berücksichtigt wird. Von der ursprünglichen Regulierungsplanung sind nur einige Straßenstücke und -ansätze (z.B. verlängerte Boerhaavegasse) übriggeblieben. In den benachbarten Bereichen des Arenbergparkes hingegen konnte die geplante Rasterbebauung erfolgreich umgesetzt werden. Fazit: In der tatsächlichen Entwicklung einer Stadt oder Region spielen viele, nicht oder nur schwer durch planerische Maßnahmen zu beeinflußende, Faktoren eine strategische Rolle. Raumentwicklung muß immer auch unter diesem Aspekt gesehen werden.