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FACHGUTACHTEN RAUMPLANUNG IN DER UVE/UVP

Fr, 12. Mai 2006
Beitrag von Dr. Luzian Paula
UVE B 301 - Siedlungs- und Wirtschaftsraum (Fachbeitrag Raumplanung) Die Errichtung und der Betrieb von hochrangigen Infrastrukturen (Eisenbahnen, Autobahnen und Schnellstraßen, Flughäfen etc.) haben nicht nur unmitelbare Auswirkungen auf die angrenzende Umgebung, sondern ziehen auch strukturelle Veränderungen in einem größeren Raum nach sich. Insbesondere Hochleistungsstraßen mit einer hohen Dichte nahe aneinander liegender Anschlußstellen verändern das Raumgefüge durch geänderte Erreichbarkeitsverhältnisse nachhaltig. Dieser Tatsache wurde in der Umweltverträglichkeitseklärung im Fachbeitrag Raumplanung entsprochen.

Bereits die Abgrenzung des Untersuchungsraumes erfolgte so, dass den erwarteten strukturellen Auswirkungen entsprochen wurde. Neben einem "funktionalen" Untersuchungsraum, der neben Wien auch die nördlich der Donau angrenzenden Gemeinden umfasste, im Süden entlang der A 2 bis Traiskirchen, im Südosten bis Ebreichsdorf und im Osten bis zu den Gemeinden entlang der B 60 reichte, wurde ein "weiterer" und ein "enger" Untersuchungsraum definiert. Ersterer deckte sich mit jenem Gebiet, das auch den Verkehrsuntersuchungen zugrunde gelegt wurde und den Raum zwischen A 4, A 2 und B 11 (Mödlinger Straße von Laxenburg bis Schwechat) umfasste. In diesem Gebiet waren auch die wesentlichsten direkten Auswirkungen durch Verkehrsverlagerungen und die damit verbundene Entlastungswirkung der Ortskerne einerseits sowie die gravierendsten Veränderungen in der Standortgunst andererseits zu erwarten. Der "engere" Untersuchungsraum war durch die Standortgemeinden der S 1 (B 301) definiert, allerdings eingeschränkt auf die dem Straßenverlauf zugewandten Siedlungen bzw. Siedlungsteile.

Unbestritten ist, dass strukturelle Auswirkungen der Straße auch längerfristig weit über den Prognosehorizont (2015) und das Untersuchungsgebiet hinaus erwartet werden können. So ist an eine massive Verbesserung in der Standortgunst des Marchfeldes und der nördlichen Wiener Bezirke zu denken, wenn es zu einer zusätzlichen Donauquerung mit der geplanten Verlängerung der S 1 nach Norden kommt (Regionenring). Die Attraktivität der transdanubischen Gebiete für Betriebsansiedlungen und Wohnbauten wird deutlich zunehmen. Zugleich ist eine Entlastung des überhitzten Wiener Südraumes zu erwarten. Des einen Leid, des anderen Freud: die heute noch niedrigeren Bodenpreise nördlich der Donau werden ansteigen, im Süden kann eine Stabilisierung des Preisniveaus eintreten. Die wachsende Wohnbevölkerung im Norden erfordert aber auch vermehrt Investitionen in den Öffentlichen Verkehr. Eine Spirale gegenseitiger Beeinflussungen beginnt sich zu drehen ... Wie das angeführte Beispiel zeigt, gilt es bei der Beurteilung der Auswirkungen der S 1 somit auch weit in die (strukturelle) Zukunft der Raumentwicklung zu denken, wobei die mathematische Exaktheit der Prognosen naturgemäß mit der Zunahme des Prognosezeitraumes abnehmen muß. Dem war bei der Erstellung des Fachbeitrages Raumplanung in der Umweltvertäglichkeitserklärung Rechnung zu tragen.

Zur Vermeidung von Scheingenauigkeiten wurde überwiegend die Methode der qualitativen Bewertung angewandt. Externe Unwägbarkeiten, wie andere Großinvestitionen können aber jederzeit die Ergebnisse wieder verändern. Dies soll an einigen Beispielen gezeigt werden: die Errichtung des Güterterminals Wien-Inzersdorf war am Beginn der Planungsarbeiten für die B 301 als Gegebenheit anzunehmen, es wurde sogar eine eigene Anschlußstelle mitgeplant. Im Laufe des UVP-Verfahrens wurde das Projekt jedoch zurückgezogen und wird derzeit nicht weiter verfolgt. Dafür wird seitens der Stadt Wien eine neue Verbindungsspange zwischen der A 23 Südost Tangente und der neuen S 1 in diesem Raum geplant (diese neue Verbindung wurde 2006 nach erfolgter Strategischer Prüfung-Verkehr in das Verzeichnis der Bundesstraßen aufgenommen). In Rothneusiedl, wo zum Zeitpunkt der Erstellung des Fachgutachtens keine bauliche Erweiterung oder Verdichtung gemäß Planungsabsicht der Stadt Wien anzunehmen war, wird heute über die Errichtung eines Fußballstadions, eines großen Einkaufszentrums und die Verlängerung der U-Bahn nach Süden nachgedacht. Jede dieser Einrichtungen ist schon für sich alleine geeignet, die Raumstruktur wesentlich zu verändern. Nördlich der Donau wurde eine neue Straßenverbindung, die S 8 Marchfeld Schnellstraße als Verbindung zwischen Wien und Bratislava in das Bundesstraßengesetz aufgenommen. Ihre Errichtung wird auch auf die S 1 Auswirkungen haben und die Raumstruktur wieder wesentlich umgestalten. Und wenn das Land Niederösterreich im Südraum seine restriktive Regionalpolitik aufgibt und die Gemeinden wieder neues Bauland widmen dürfen, sind auch hier massive Veränderungen zu erwarten.

Eine exakte Prognose der räumlichen Entwicklung mit genauen Zahlen der zu erwartenden Einwohner und Beschäftigten für einen Zeitraum der nächsten 20 Jahre ist demnach unseriös. Im Zuge der Umweltverträglichkeitserklärung war daher auf diese Unwägbarkeiten Bedacht zu nehmen und die Auswirkungen der Straße in einer möglichen Bandbreite der Entwicklung abzuschätzen, was als durchaus gelungen bezeichnet werden kann. Der am Beginn der Arbeiten vorhandene Widerstand in Politik, Fachwelt und Bevölkerung gegen die neue Straßenverbindung konnte durch Offenlegung aller Unterlagen und Annahmen in einem langwierigen Diskussionsprozeß weitestgehend ausgeräumt werden. Waren zu Beginn der Arbeiten in den 90er-Jahren noch bei jeder Veranstaltung mehrere hundert Gegner anwesend, sank der Widerstand beim Spatenstich im Jahre 2001 bereits auf eine kleine Gruppe von Demonstranten. Und bei der feierlichen Eröffnung im April 2006 waren alle (auch die Politiker) immer schon dafür und kein einziger Gegner mehr auszumachen.

Es wurde alles zu Wonne und Grießschmarren ...